Der geschenkte Christbaum

In einer großen Stadt wohnte ein kleiner Junge allein mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Der Junge hieß Alexander. Er hatte schon seit Jahren keinen Vater mehr und Alexander und seine Mutter waren immer sehr knapp dran mit dem wenigen Geld, das die Mutter mit der täglichen Arbeit verdiente.

Alexander war dieses Jahr erst in die Schule gekommen und drei Wochen vor Weihnachten kam er nachhause und erzählte seiner Mutter von einem wunderschönen Weihnachtsbaum, der in seiner Schule errichtet und geschmückt worden war.

„Mama“, sagte er schließlich und nahm die Hand seiner Mutter, “können wir bitte auch so einen hübschen Baum an Weihnachten haben dieses Jahr?“

„Ich denke, das wird nicht möglich sein“, antwortete die Mutter, „denn sieh mal, Alex, ich nehme das Geld, das ein Weihnachtsbaum kosten würde, lieber dafür, um uns etwas Feines zum Essen fürs Fest zu kaufen.“

Als sie sah, dass der Junge traurig dreinblickte, fuhr sie fort:

„Sieh mal, mein Schatz, es gibt doch überall in der Stadt so viele Christbäume zu bestaunen, beim Supermarkt, am Stadtpark, der in der Schule, ja, und dann auch der ganz große auf dem Marktplatz, da brauchen wir doch nicht unbedingt auch noch einen im Wohnzimmer. Das können wir doch auch schön mit Tannenzweigen und Kerzen schmücken. Weißt du, Christbäume sind dieses Jahr recht teuer und wir haben doch so wenig Geld.“

Alexander sah seine Mutter an und begann wieder zu lächeln.

„Aber ein Geschenk bekomme ich doch, oder?“

„Aber natürlich, mein Lieber, das Christkind wird’s schon richten.“

 

Die Tage vergingen und schließlich war heilig Abend. Alex hatte keine Schule mehr und nun Ferien bis ins neue Jahr. Seine Mutter aber musste auch an diesem Tag zur Arbeit, würde aber am frühen Nachmittag wieder zurück sein.

Was Alexander schon seit Tagen durch den Kopf ging, das war der Christbaumhändler, der am Rand des Stadtparkes einen Stand eröffnet hatte. Jeden Tag kam Alex dort auf dem Schulweg zweimal vorbei und sah die vielen Tannenbäume, einige in ihrer vollen Pracht frei stehend, viele andere in feine Netze gezwängt aneinander lehnend.

Nachdem die Mutter gegangen war, zog Alexander seine Winterjacke an, setzte seine Wollmütze auf und machte sich ebenfalls auf den Weg. Er marschierte schnurstracks auf seinem Schulweg hin zum Stand des Christbaumhändlers. Dieser hatte bereits begonnen, die übrig gebliebenen Bäume auf einen Anhänger zu werfen und wollte wohl bald schließen für dieses Jahr.

Mutig sprach Alexander den Mann an:

„Bitte entschuldigen Sie!“

„Was willst du denn? Geh aus dem Weg, ich hab zu arbeiten!“

„Ich wollte Sie nur fragen, was sie mit all den Christbäumen machen, die niemand gekauft hat“, sagte Alex eingeschüchtert und mit leiser Stimme.

„Das sind keine Christbäume mehr“, antwortete der Mann mürrisch, „ das ist jetzt Brennholz. Und jetzt geh zur Seite!“ Doch der kleine Junge blieb standhaft und erwiderte, nun etwas lauter:

„Wir können dieses Jahr keinen Baum kaufen, weil wir zu wenig Geld haben“, und nach kurzem Zögern,  „schenken Sie mir einen?“

„Was willst du Knirps denn mit so einem Baum anfangen? Du könntest ihn ja gar nicht wegtragen. Die sind doch alle viel zu groß. Und außerdem, verschenkt wird nichts, basta! Und jetzt mach endlich Platz!“ Dabei packt er eine der Tannen und Alex machte erschreckt einen Schritt zur Seite.

Daran hatte er ja überhaupt nicht gedacht. Er hätte den Baum ja nie tragen können.

Alexanders Enttäuschung war groß. Eine Weile stand er noch da und schaute dem Mann zu, dann machte er sich langsam mit gesenktem Kopf wieder auf den Heimweg.

Als er so enttäuscht die Straße entlang schlenderte, liefen ihm Tränen über die Wangen und ein Stück weiter begann er zu weinen.

Kurz darauf kam ihm ein großer Mann in dunklem Mantel entgegen. Er hatte einen grauen Vollbart und unter seinem rechten Arm klemmte ein langes, in braunes Papier eingewickeltes und mit Schnur gebundenes Paket.

Als er bemerkte, dass Alexander weinte, hielt er an und fragte mit tiefer Stimme:

„Nanu, mein Junge, was hast du denn? Wieso weinst du?“

Alexander ging erst zwei Schritte weiter, bevor er sich umdrehte und etwas verängstigt antwortete:

„Meine Mama hat gesagt, ich darf nicht mit fremden Männern sprechen.“

„Da hat sie ganz recht.“ Der Mann lachte und fuhr fort:

„Hier, mein Junge, das ist für dich, das wird dich trösten.“ Er ging einen Schritt auf Alex zu und reichte ihm das lange Paket, das dieser gerade noch halten konnte. Dann strich er kurz mit seiner Hand über die Wange des Jungen. Auf der kalten Haut fühlte diese sich warm an und sie roch nach Harz. Dann wandte er sich ab und ging ohne ein Wort weiter.

Alex stand verdutzt da und sagte dann auf einmal leise und verschüchtert:

„Bist du der Nikolaus?“

Der alte Mann, der das eigentlich gar nicht gehört haben konnte, drehte sich im Lauf noch einmal um, legte seinen Zeigefinger auf seinen Mund und rief:

„Psst, das braucht niemand zu wissen.“ Dann lachte er und setzte seinen Weg fort.

 

Alex hatte große Mühe, das lange und schwere Paket nachhause zu schleppen und dies gelang ihm auch nur, weil fest verschnür und deshalb einigermaßen handlich war. Zuhause angekommen beeilte sich Alex, das Paket auszupacken. Mit Mamas großer Schere durchtrennte er die Schnur an mehreren Stellen, bis sie den Inhalt freigab. Aus dem braunen Papier entfaltete sich ein prächtiger kleiner Tannenbaum. Alexander stieß einen Freudenschrei aus.

Erst spät, es wurde schon dunkel, kam Alexanders Mutter nachhause. Als sie das Bäumchen sah, rief sie erstaunt aus:

„Wo kommt denn der Weihnachtsbaum her?“

„Den hat der Nikolaus mir geschenkt“, antwortete Alexander mit strahlendem Gesicht. Die Mutter schaute ihn lange nachdenklich an, doch sie wusste, dass sie ihrem Sohn vertrauen konnte. Deshalb legte sie einfach schweigend ihren Mantel ab. „Er wird mir schon noch erzählen, wie er zu dem Baum gekommen ist“, dachte sie bei sich. Gut gelaunt und lachend kommandierte sie:

„Auf geht’s! Jetzt wird Weihnachten vorbereitet!“

Beide schmückten ihren Christbaum mit den Sachen, die sie aus vergangenen Jahren aufgehoben hatten und konnten am Ende Weihnachten feiern mit einem leckeren Essen und einem wunderschönen, im Kerzenlicht strahlenden Christbaum.

 

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